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Zwei Herzen, zwei Leben – ein Mensch

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Wenn ich über die vergangenen Monate nachdenke, kommt mir immer wieder ein Bild in den Kopf: der Phönix. Er stirbt am Ende seines Lebenszyklus’, um daraufhin aus seiner eigenen Asche wieder aufzuerstehen. Ein bisschen theatralisch vielleicht, aber das passt ja auch irgendwie zu mir.

Man sagt ja, Menschen, die dem Tod nah waren, verändern sich, werden zu “neuen” Menschen. Aus meiner Perspektive kann ich sagen: ja und nein. Man wird natürlich kein “neuer” Mensch. Man ist, wer man ist. Man kann sich verändern, das Leben formt einen, die Perspektive ändert sich, aber eigentlich findet dieser Prozess bei jedem von uns statt, kontinuierlich. Es gibt Phasen, wie zum Beispiel nach einem Schicksalsschlag, da schreitet dieser Prozess viel schneller voran, und es gibt Phasen, da stagniert es vielleicht ein bisschen. Aber ein “anderer Mensch” wird man nicht.

In meiner letzten Beziehung fiel einmal der Satz: “Du bist nicht mehr die Frau, die ich kennengelernt habe.” Bis heute denke ich über diesen Satz nach. Ich habe ihm das sofort geglaubt, und es hat mich unheimlich getroffen. Ich bin wütend geworden, auf den Unfallverursacher, auf das Leben, die Schmerzen, meinen Fuß. Ich habe auf alles geschaut, nur nicht auf mich. Jetzt kann ich sagen: Ja, das stimmt, er hatte Recht, und auch wieder nicht. Ich bin immer noch “die Frau”, aber ich habe mich verändert.

Dieser Satz ist in einer Phase gefallen, in der ich einfach nicht in der Lage war, so zu sein, wie ich sein wollte und wie ich doch “eigentlich war” – dachte ich. Ich weiß jetzt, dass diese Phase unheimlich wichtig war, auch wenn sie von Kummer, Perspektivlosigkeit und Wut geprägt war.

Es war der Prozess, in dem zwei Ichs in mir miteinander gekämpft haben. Ich sage kämpfen — und eigentlich meine ich anfreunden. Es war die Phase, in der ich herausgefunden habe, wer eigentlich diese Person “nach dem Unfall” ist. Ich fühlte mich innerlich zerrissen, leer, traurig und mutlos. Ich hatte all die neuen Gegebenheiten noch lange nicht akzeptiert. Es gab Tage, an denen ich wütend aufs Leben zugestürmt bin und so getan habe, als wäre nie etwas passiert. Dann gab es Tage, an denen ich vor Selbstmitleid zerflossen bin. Und wiederum Tage, an denen ich lethargisch vor mich hinvegetierte. Ich habe dem fröhlichen Mädchen, welches ich vor dem Unfall war, sehr lange hinterhergetrauert, weil ich überhaupt nicht erkannt habe, dass ich dieses Mädchen doch eigentlich immer noch war. Sein konnte. Wenn ich es zuließe.

Ich habe viel Zeit gebraucht, um all das herauszufinden. Die gute Nachricht: Ich habe es geschafft. Ich weiß jetzt, wer ich bin. Ich bin nämlich beides. Das fröhliche, unbeschwerte Mädchen vor dem Unfall und die reife, gehbehinderte Frau nach dem Unfall. Meine zwei Ichs haben zueinander gefunden und sich angefreundet. Und sie ergänzen sich ganz wunderbar. Ich bin viel stärker, aber auch gleichzeitig weicher. Fröhlicher, aber auch sehr viel tiefgründiger. Reifer, aber auch gleichzeitig alberner. Ich bin impulsiver, aber genauso auch reflektierter.

Ein bisschen Ambivalenz wird vermutlich trotzdem bleiben, denn auch die besten Freunde sind nicht immer einer Meinung. Aber hey – so bleibt es weiterhin spannend und der Prozess der Veränderung schreitet stetig voran.

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