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„Sterben tut im Herzen weh“

Ich bin mal wieder auf einen Artikel gestoßen, der mich sehr berührt hat. Der Erinnerungen hat aufleben lassen und Bilder vor mein geistiges Auge geholt hat, die ich eigentlich sehr weit weg geschoben hatte. Und ich habe gemerkt, dass ich doch noch nicht so ganz fertig bin mit dem Prozess der Verarbeitung.

Es erwischt mich manchmal immer noch eiskalt, obwohl ich langsam mal darauf vorbereitet sein sollte, dass es immer wieder Situationen geben kann und wird, dich mich triggern, die etwas in mir auslösen, das sehr schmerzhaft ist. Und die meinen größten Gegner wieder in den Ring steigen lassen: die Angst. Sie ist in diesem Moment so präsent wie schon monatelang nicht mehr. Ich habe mich heute verkrochen, liege im Bett und warte darauf, dass die Bilder von alleine weggehen. Aber das tun sie irgendwie nicht. Also schreibe ich es auf, um es so vielleicht abschütteln zu können.

Ich möchte euch heute von meiner Begegnung mit dem Tod erzählen.

Ein bisschen was darüber habe ich ja schon im vorletzten Artikel geschrieben – dass ich denke, dass das Ketamin bei mir einen schrecklichen Film und letztendlich auch die PTBS ausgelöst hat. Jetzt erzähle ich euch davon, wie es sich anfühlt, wenn man denkt, dass man stirbt. Wie es sich für mich angefühlt hat.

Ich habe noch nie das Wort „Nahtod-Erfahrung“ benutzt, denn so fühlt es sich auch nicht an. Ehrlich gesagt weiß ich auch gar nicht, wie eine „Nahtod-Erfahrung“ überhaupt definiert wird. Es spielt für mich auch keine Rolle – ich nenne meine Erfahrung nicht so, auch wenn ich zwischenzeitlich dachte, dass ich sterben würde. Und auch wenn es ja wirklich anders hätte ausgehen können…

Nach dem Aufprall kam tatsächlich diese seltsame „Zeitlupe“, von der Verunglückte so oft berichten. Ich weiß nicht, warum das so ist oder ob es nur in der Erinnerung verlangsamt wird. Ich erinnere mich jedenfalls an das Schleudern des Trucks, es scheint mir unendlich lange gedauert zu haben. 30 Meter waren es, das weiß ich jetzt. Das Durchschlagen der Leitplanke und das leichte Bergabrutschen habe ich als Überschlag in Erinnerung. Vermutlich weil sich einfach alles gedreht hat.

Und dann – eine Sekunde Stille. Eine Ewigkeit.

Meine Gedanken waren ganz klar. Ich konnte nicht atmen. Ich hatte als Kind schon mal einen Autounfall und wusste, dass der Gurt den Brustkorb quetscht und man deshalb keine Luft kriegt. Das hoffte ich zumindest. Irgendetwas stimmte aber nicht. Ich konnte mich nicht bewegen. Oder viel mehr wollte ich mich nicht bewegen. Mein Reflex war nicht, sofort aus dem Auto zu steigen, mein Körper hat mir signalisiert, möglichst ganz still zu sitzen. Nach dem kurzen Schock des Aufpralls baute sich ein leichtes Brennen im linken Bein auf, kaum merklich. Dann spürte ich, dass mein Bein nass wurde. Sehr nass. Mein Herzschlag verlangsamte und verstärkte sich gleichzeitig, mit jedem Schlag wurde mein Bein nasser. Blut. Es war mir sofort klar, dass das nicht nur ein kleiner Schnitt war, sondern ein größeres Blutgefäß verletzt war.

Kaum zu glauben, aber ich bin am Anfang so dermaßen ruhig geblieben und bin schnell die Optionen durchgegangen, habe in meinen Körper reingehört und nach anderen „Verletzungen“ gesucht. Der Rest des Körpers war aber taub, ich fühlte nichts. Also musste zuerst diese Blutung umgehend gestoppt werden. Ich habe konkrete Anweisungen gegeben – erst den Oberschenkel abdrücken, dann kamen auch schon die Ersthelfer und mein Engel, der Ersthelfer-Arzt, hat einen Druckverband angelegt. Übrigens direkt auf den offenen Oberschenkelbruch, aber das habe ich erst im Nachhinein erfahren. Schmerzen hatte ich keine. Bis dahin.

Ich konnte überhaupt nicht sagen, ob es zwei oder zwanzig Minuten waren. In der Akte habe ich später gelesen, dass das erste Feuerwehrauto etwa neun Minuten nach dem Unfall da war.

Neun Minuten mit Adrenalin zu überbrücken, das hat mein Körper nicht geschafft. Nach ein paar Minuten hat er aufgegeben. Das war der Moment, in dem der Schmerz kam. Und was für einer! Ich hatte das Gefühl, mein Fuß wäre abgerissen worden. Das Pulsieren wurde immer stärker und in meinem Kopf machte sich Wahnsinn breit. Ich konnte nur noch schreien. Es muss furchtbar gewesen sein für all die Menschen, die da waren, um mir zu helfen und irgendwie doch nichts tun konnten. Denn zum einen war ja gar nicht klar, wie schwer meine Verletzungen sind – zum anderen stand der Truck abschüssig, die Tür war verklemmt und der einzige Weg war über den Beifahrersitz oder durch die Windschutzscheibe.

Als ich anfing zu zittern und mir schrecklich kalt wurde, habe ich zum ersten Mal so richtig Angst bekommen. Und ich wusste, was vermutlich als Nächstes kommen würde (ich hab echt zu viele Arztserien geguckt!). Und als dann diese unfassbare Müdigkeit dazu kam, war sie da: die Todesangst. Und in dem Moment stand wieder alles still. Von einer Sekunde auf die andere hing mein Leben am seidenen Faden. Hatte ich vorher nur gedacht: „Mist, Autounfall, Bein gebrochen, das passt mir jetzt gar nicht“ – ging es plötzlich um mein Leben. Ich konnte es nicht fassen. Mir war schummrig, schwindelig, schlecht. Ich war bis dahin noch nicht ohnmächtig geworden und alles in mir schrie: „Jetzt nicht! Wach bleiben. Sonst ist es vorbei.“ Ich habe so sehr gegen die Müdigkeit und Kälte angekämpft und versucht mich mit Schreien wach zu halten. Furchtbar. Selbst die mittlerweile eingetroffene Notärztin konnte mich nicht beruhigen. Und in diesem Moment der „Erkenntnis“, dass ich vermutlich sterben würde, hat sie mir das Ketamin gespritzt und somit diesen Moment irgendwie „konserviert“. Und dann kam die Hölle. Emotional. Körperlich war es überhaupt nicht mehr schlimm, ich war weggetreten, immer wieder ohne Bewusstsein, ohne Schmerzen, ich konnte atmen und fühlte mich leicht und frei. Mein Körper existierte irgendwie gar nicht mehr.

Aber emotional war ich absolut am Ende. Ich war nicht bereit, zu gehen. Ich habe zwar mein Leben nicht an mir vorbeiziehen sehen, wie es so viele erzählen, aber ich hatte andere innere Bilder. Diese Bilder, vor allem aber die Emotionen hinter diesen Bilden, sind auch heute noch ganz präsent und klar: „Es wird nie wieder gut werden. Du wirst da sein und auch weg. Das Gesicht meiner Mutter war da und sie hat geweint. Ich selber war da und habe geweint. Ich war tot und wieder auch nicht. Ich habe gefühlt, also war ich irgendwie da, aber ich habe gefühlt, dass ich tot bin.“ Mein Herz ist in diesem Moment zerbrochen. Und ist es seitdem, zumindest ein kleiner Teil. Das ist auch dieser eine Teil, der niemals heilen wird. So sehr ich mich bemühe, so sehr ich kämpfe, verdränge, zulasse, verarbeite. Dieses eine Gefühl, das hinter diesem Erlebnis steht, ist das Grausamste, was ich jemals erlebt habe. Ich bin im Herzen gestorben.

Umso erstaunter und überwältigter war ich, als ich irgendwann tatsächlich wieder aufgewacht bin. Die ersten Tage waren absolut surreal. Manchmal wusste ich nicht, was Traum ist und was Wirklichkeit. Seitdem macht mir dieses fragile Konstrukt namens Leben Angst – mal mehr und mal weniger. Wie ihr wisst, habe ich es geschafft, die meisten meiner Ängste zu besiegen. Und dass ich mittlerweile ganz viel Positives aus diesem Unglück ziehen und Glück ganz neu empfinden kann. Manchmal aber, so wie heute, holt mich die Angst ein.

Am meisten Angst habe ich davor, dass ich diesen Prozess noch einmal so bewusst erleben könnte. Und dass ich es vielleicht nicht nochmal schaffe, wieder aufzuwachen.

2 Gedanken zu „„Sterben tut im Herzen weh““

  1. Danke ❤️ Primär schreibe ich ja, um zu verarbeiten. Aber auch, weil ich genau so eine Offenheit selber gebraucht hätte, am Anfang, und leider nicht gefunden habe. Ich kriege ganz tolles Feedback von Fremden, die sich wiederfinden und denen es Mut macht, zu lesen, dass man es schaffen kann. Zu wissen, dass man nicht alleine ist – das ist ein tolles Gefühl

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