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Sechs Monate Antidepressivum

Es gab ja schon wirklich lange kein Update mehr von mir. Ich habe mehrere Artikel angefangen, weitergeschrieben, gelöscht, neu angefangen. Aber irgendwie fehlt mir momentan der „Flow“. Es läuft einfach nicht so gut wie sonst. Trotzdem möchte ich dieses eine Thema jetzt doch einmal aufgreifen.

Weil ich in den vergangenen Monaten gemerkt habe, dass die meisten dem Thema „Antidepressivum“ sehr kritisch gegenüber stehen. Wie mit allem bisher, gehe ich damit auch sehr offen um, es ist kein Geheimnis – und ich bin auch weder depressiv noch bekloppt, nur weil ich mir und meiner Gesundheit mit der richtigen Tablette helfe.

Aber eins nach dem anderen. Ich selber habe mich lange Zeit dagegen gewehrt, diese kleine Pille zu schlucken, schon ganz am Anfang wurde mir eine medikamentöse Therapie angeboten. Mir war es aber sehr wichtig, meinen Prozess fühlen zu können. Ich wollte wissen, was in mir vorgeht, wie weit ich bin, wie gut oder schlecht es mir geht. Ich habe ja von Anfang an therapeutische Hilfe in Anspruch genommen, sogar schon bevor ich gemerkt habe, dass mich die Posttraumatische Belastungsstötung erwischt hat. Der Verlauf der Therapie war am Anfang ganz gut – wobei ich da leider sagen muss, dass es mir wirklich unglaublich schlecht ging. Ich konnte ja kaum einen Fuß (oder Rolli-Reifen) vor die Tür setzen, ohne schreckliche Angstzustände oder Panikattacken zu kriegen. Da es so schlimm war, trat natürlich die Anfangsbesserung unter der Traumatherapie sehr schnell und deutlich ein.

Und irgendwann stagnierte es. Ich empfand das als nicht so dramatisch, weil ich ja vieles schon wieder konnte und dachte, dass das schon noch kommen würde. Ich war zu der Zeit aber auch wahnsinnig hart zu mir selber und habe mir keinerlei Schwäche erlaubt. Ständig hatte ich die Peitsche in der Hand und habe mich dazu gezwungen, meine Ängste zu überwinden – oder zumindest auszuhalten. Ein Teil dieser Härte ist bis jetzt geblieben, aber das ist ein anderes Thema.

Das hat tatsächlich auch ganz gut funktioniert, ja… bis Mamas Krebsdiagnose kam. Das hat mich komplett aus der Bahn geworfen. Ich habe tagelang geweint, mich übergeben, hatte plötzlich wieder nicht kontrollierbare Panikattacken, Todesangst, Alpträume. Als hätte es einen Schalter umgelegt, mir die Peitsche aus der Hand gerissen und das wahre Ausmaß der Krankheit gezeigt. So ging es definitiv keinen einzigen Tag weiter.

Ich bin dann zu meiner Hausärztin gerast, die mir erstmal kurzfristig einen Angstlöser gegeben hat (Tavor, wer kennt’s?) und dann gesagt hat, sie könne mir auch ein Medikament aufschreiben und wir schauen mal, ob das funktioniert. Das würde mir viel Zeit und das ewige Warten auf einen Termin beim Neurologen ersparen. Also gut, dann Escitalopram, ein SSRI (selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer).

Ich habe mich also kurzfristig mit Tavor über Wasser gehalten und auf den Wirkeintritt des Escitaloprams gewartet. Das hat etwa 2-3 Wochen gedauert. Wir hatten es etwas zu hoch dosiert am Anfang und ich bin in dieser Zeit wie auf Watte gelaufen. Es war überhaupt nicht schön, aber zumindest hat es mich abgestumpft und „dumpf“ gemacht. Das fand ich aber irgendwie nicht wirklich gut, weil ich einfach gar nichts mehr gefühlt habe, und habe dann selbstständig ein bisschen mit der Dosierung gespielt. Abgesetzt (furchtbar!) ein- und ausgeschlichen (nicht nachmachen!) – und plötzlich hatte ich die perfekte Dosierung für mich gefunden. Die niedrigste. 5mg, morgens. Das eigentliche Ziel war ja, dass ich einfach etwas stabiler werde und Mama bei Operation und Chemotherapie unterstützen kann. Eigentlich hatte ich mir auch fest vorgenommen, es nicht so lange zu nehmen. Aber es passierte eben auch Folgendes: Die Hauptsymptome der PTBS sind bis auf ein Minimum abgeschwächt worden.

Und so ist es jetzt seit etwas über sechs Monaten. Mir geht es erstaunlich gut damit, in dieser Dosierung. Ich fühle mich ausgeglichen, stärker, ein bisschen rationaler (tut mir ganz gut bei meiner Emotionalität), stabil, schlafe meistens durch und habe nur noch ganz selten diese Momente, in denen ich keine Luft kriege, weil ich denke, ich sterbe.

Für mich ist das Antidepressivum ein ganz normales Medikament, welches mich unterstützt und den Alltag besser meistern lässt. Ich bin unheimlich dankbar, dass es so etwas gibt. Würde ich regelmäßig – auch starke – Schmerzmittel für meinen Fuß nehmen, würde das niemand hinterfragen, aber ein Schmerzmittel für die Seele ist immer noch etwas, worüber nicht oft gesprochen wird und wenn doch, wird man leider meistens sehr schräg angeguckt – und in eine Schubalde gesteckt. Das finde ich wirklich schade, denn so ein Medikament kann die Lebensqualität bei psychischen Erkrankungen unheimlich verbessern – vorausgesetzt natürlich, es wird verantwortungsvoll und zielgerichtet eingesetzt.

4 Gedanken zu „Sechs Monate Antidepressivum“

  1. Toll von dir zu lesen.. das ist teilweise, als würde ich von mir selbst einen Text lesen. Kann vieles so gut nachfühlen. Ich freue mich, dass es dir mit dieser Dosierung jetzt ganz gut geht.
    Ich hoffe, dass die Fussschmerzen sich auch in Grenzen halten..liebe Grüsse, Lara

  2. Liebe Jule, das was du für dich gefunden hast, Dir erkämpft hast ist das (momentan) richtige. Und das kann nur eine Person beurteilen, – du! Jeder, der meint Ratschläge oder Bedenken äußern zu müssen – es gibt einen Unterschied zwischen – ich steh dir zur Seite – und – ich weis was richtig ist (oder äußere einfach mal was ich für bedenklich halte…). Ich denke DU kennst am besten die zwei Seiten der „Medaille“.
    Ja, es ist merkwürdig das bestimmte Medikamente/ Anwendungen/ Maßnahmen dazu führen das Bewertungen abgegeben werden. Doch wer nicht in den Schuhen geht sollte vorsichtig sein die eventuellen Blasen anzumahnen. Du bist eine unglaublich starke, reflektierte und bewundernswerte Frau!

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