Ich möchte mich heute mal an ein etwas komplexeres Thema heranwagen. Die Posttraumatische Belastungsstörung. Ein Bruch ist ein Bruch, den sieht man gut auf einem Röntgenbild. Prellungen, Quetschungen, Blutergüsse – das kann jeder nachvollziehen und richtig einordnen. Aber neben all den (sichtbaren) körperlichen Verletzungen gibt es einige Wunden, die man nicht sehen kann. Und die deshalb auch nur sehr schwer zu verstehen sind. „Wenn die Seele weint“ – dieser Ausdruck gefällt mir irgendwie ganz gut.
Man erlebt etwas Schreckliches und jeder Mensch verarbeitet ein solches Erlebnis ganz anders. Die einen trifft es, die anderen einfach nicht. Es handelt sich hierbei um die so genannte Posttraumatische Belastungsstörung. Ich werde jetzt keine wissenschaftliche Abhandlung darüber schreiben, das haben schon genug kompetentere Menschen getan (einfach mal googlen oder für eine kurze Definition hier gucken: Was ist eine PTBS?).
Was mir sehr wichtig ist: Ich kann und möchte hier absolut nur für mich sprechen. Mich hat es erwischt, obwohl ich es nicht für möglich gehalten hätte. Es lief alles so super nach dem Unfall, ich war so glücklich, überlebt zu haben und war mir sicher, dass rein gar nichts mehr dieses Gefühl trüben könnte. Bis sich an irgendeinem Tag, circa drei Wochen nach dem Unfall, plötzlich ein tiefer, schwarzer Abgrund vor mir auftat. Ich erinnere mich nicht mehr genau an den Tag, ich weiß nur, dass ich mal wieder in der OP-Vorbereitung lag und auf einmal eine panische Angst hatte, nicht mehr aufzuwachen. Das habe ich dem Anästhesisten natürlich sofort unter die Nase gerieben und ihn – so bin ich dann eben – angewiesen, bitte alle Geräte doppelt zu checken und mich gleichzeitig die ganze Zeit im Blick zu haben. Denn ich war mir plötzlich sicher, dass ich sterben würde. Ich kleiner Klugscheißer.
Ich bin natürlich wieder aufgewacht, aber von da an ging es rasant bergab. Mir war plötzlich klar geworden, dass jede Sekunde des Lebens eigentlich lebensgefährlich ist. Es steigerte sich so weit, dass ALLES um mich herum eine unbändige Angst auslöste. Ich wollte das Morphin nicht mehr nehmen, weil ich Angst vor einer Atemdepression hatte, kein Metamizol (Schmerzmittel) mehr, weil ich Angst vor Agranulozytose hatte (< 1 zu 10.000), keine Schlaftabletten mehr, weil ich Angst vorm Schlafen hatte. Ich hatte eine offene Wunde, also hatte ich Angst vor allen Infektionen. Es ging so weit, dass ich Angst davor hatte, mit dem Rolli vor die Tür zu fahren, da mir draußen vor der Klinik ja ein Ast auf den Kopf fallen und ich sterben könnte. Alles, was auf der ganzen Welt überhaupt nur passieren konnte, war plötzlich möglich.
Diese Angst fühlte sich schlimmer an als alle Schmerzen, die ich hatte. Sie machte mich unfrei und lähmte mich. „Hyperarousal“ heißt das ganze, es ist eine absolut übertriebene Stressreaktion. Mir war etwas passiert, was total unwahrscheinlich ist (ich habe ALLE Statistiken zum Thema Verkehrsunfälle gelesen). Also reagiert der Körper über und signalisiert dir, dass auch alles andere passieren kann. Jeder Mensch denkt hin und wieder mal an den Tod und hat vielleicht Angst davor. Der natürliche, gesunde Verdrängungsmechanismus greift dann aber und man hat es meist schnell wieder vergessen. Dieser Mechanismus war bei mir komplett ausgehebelt.
Gut, gib dem ganzen einen Namen und dann – ist es trotzdem noch da. Es gibt kein Pauschalrezept dagegen. Was habe ich also getan? Ich habe mir psychologische Hilfe organisiert. Eigentlich wollten sie mich mit einem Antidepressivum abspeisen, mein Chefarzt war aber so klasse und hat mir eine Traumatherapeutin organisiert. Mir hat es geholfen, zu hören, dass das „normal“ ist, sein kann. Sie hat mir erklärt, warum es so ist und mir versichert, dass es besser wird. Nun bin ich grundsätzlich auch jemand, der nicht gerne schwach ist und sich auch nicht gerne mit Situationen abfindet. Ich habe also angefangen, mit mir selber zu reden. Mit mir zu schimpfen, mich zu loben und mich selber zu überlisten. Während ich so vor mich hin schimpfte, stopfte ich die Morphintablette in mich rein und ’schwupps‘, geschluckt ist geschluckt. Und wer schon mal Morphin genommen hat, kennt die Wirkung. Plötzlich war alles nicht mehr so schlimm.
So kämpfte ich mich also von Tag zu Tag, ging meinen Ärzten sicherlich ziemlich auf die Nerven mit all den ‚abers‘ und ‚was wäre wenns‘. Und tatsächlich, ganz langsam wurde es besser. Oder viel mehr: Es verschob sich. Mein Gehirn lernte langsam wieder, mit all diesen bedrohlichen Reizen klarzukommen und das Risiko des Lebens in Kauf zu nehmen, ohne komplett durchzudrehen. Ich sage „verschob sich“, denn obwohl manche Dinge wie „Ast auf Kopf tot“ plötzlich nicht mehr so beängstigend waren, manifestierten sich andere Dinge. Und diese quälen mich auch heute noch…
Fast 14 Monate nach dem Unfall geht es mir immer noch schlecht. Ich habe wahnsinnige Angst vor allen Verkehrsmitteln, ganz vorne natürlich vor Autofahrten auf der Bundesstraße, aber auch auf der Autobahn. Im Prinzip alles, was schnell ist. ICE, Flugzeug, usw. An guten Tagen schaffe ich es manchmal, diese Angst umzulenken. An schlechten Tagen sehe ich Dinge, die einfach nicht da sind. Autos, die auf uns zufahren, obwohl sie eigentlich stehen; Lichter, die nicht da sind. Da stehen wir dann irgendwo in der Pampa an einer Raststätte und ich kann nicht mehr aufhören zu heulen. Ich habe auch Angst vor Menschen. Volle U-Bahnen, Demos, Samstage in der Innenstadt – all das meide ich. Oft habe ich noch Angst, dass das Gebäude, in dem ich bin, zusammenstürzt. Bei einer leichten Brise gehe ich auch nicht mehr gerne aus dem Haus. Diese Liste geht noch ewig weiter, es ist ein bisschen tagesabhängig, was gerade so aktuell ist.
Zur Zeit konzentriert sich die Hauptangst gerade auf meinen Körper. Irgendwas „von innen heraus“ bedroht mich. Am meisten Angst habe ich vorm plötzlichen Herztod. Das steigert sich oft so sehr, dass ich nächtelang kaum ein Auge zumache. Ich habe seit dem Unfall, oder viel mehr seit der PTBS, leichte Herzrythmusstörungen, einen viel zu hohen Ruhepuls, oft Herzrasen, kleine Stolperer… Mir ist schon klar, dass die Ursache psychisch ist, trotzdem kann ich damit nicht umgehen. Ich habe Bauchschmerzen, Übelkeit, Magenkrämpfe, eine Gallenkolik hinter mir. Dazu zwei kräftige Rheumaschübe in den letzten acht Monaten. Und natürlich die täglichen Schmerzen, jeder Schritt tut weh. Mein Körper ist geschwächt und das macht ihn für mich angreifbar für alles, was es eben so an Krankheiten gibt.
Ich weiß, dass ich nie wieder so unbeschwert durchs Leben laufen werde, wie ich es vor dem Unfall getan habe. Nie wieder mal spontan sage „Hey, nächster Urlaub in Indien?“ (wuahh, hilfe!) Diese „Unfreiheit des Handelns“ ist tatsächlich auch das, was ich dem Unfallverursacher am übelsten nehme. Was mich oft wahnsinnig wütend macht, was mich schwach werden lässt und hilflos. Nun, Wut ändert gar nichts. Also bleibt mir eigentllich nichts anderes übrig, als weiterhin zur Therapie zu gehen, Zeit verstreichen zu lassen, manchmal auch einfach Dinge zu tun, um zu merken, dass es vielleicht gar nicht so gefährlich ist, wie ich denke. Und vor allem fest daran zu glauben, dass ich mir ein erfülltes, neues Leben aufbauen kann. Mit der Angst an meiner Seite, aber nicht als Gegner, sondern als Partner.
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