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„Positives Denken“ – dann wird alles gut?!

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Es gibt ein Thema, über das ich sehr oft nachdenke. Uber das ich mit vielen Menschen spreche. Immer und immer wieder, vor allem mit Fremden, die nach meiner Geschichte fragen. Ich höre immer wieder den Satz „Du musst nur positiv denken, das ist das Wichtigste“.

Oder auch: „Du darfst nur nicht aufgeben“, „Du musst an dich glauben“, „Du musst optimistisch sein“. Natürlich überspitze ich jetzt etwas, denn ich führe auch viele tolle, motivierende, verständnisvolle Gespräche. Aber immer wieder so ein Gespräch, wie ich es neulich Abend in der Kneipe geführt habe. Ich solle an mich glauben und nicht aufgeben. Stark sein und optimistisch. Dann wird schon alles gut.

Nicht aufgeben – was heißt das eigentlich? Und an mich glauben?

Das mit dem Optimismus verstehe ich durchaus. Ich merke sehr wohl, dass es mir an den Tagen besser geht, an denen ich mich motiviere, mich auffraffe, mich ablenke und versuche, die Dinge einfach so hinzunehmen, wie sie nun mal sind.

Aber das mit dem Aufgeben verstehe ich nicht so ganz. Oder vielleicht falsch. Ich habe eine Idee, was damit gemeint sein könnte, wenn die Leute das einfach mal so raushauen. Ich solle mich nicht „hängen lassen“. Aber aufgeben? Aufgeben heißt für mich, ganz subjektiv, dass ich mein Leben beenden würde. Denn alles andere bedeutet, dass es weitergeht. Und zwar jeden Tag. Ich habe überhaupt keine Wahl. Mal vorausgesetzt, ich schließe den beendenden Schritt aus, was ich ja tue.

Vielleicht ist es an diesem Punkt wichtig etwas klarzustellen. Viele Menschen sagen, ich sei stark und sie fänden es bewundernswert, wie ich mit all dem umgehe. Ich kann nur sagen: Ich weiß nicht, wie ich es anders machen sollte. Ich empfinde mich nicht als besonders stark. Ich habe etwas Schreckliches erlebt, ich habe es überlebt, und von dem Moment an habe ich einfach das getan, was nötig war, um am Leben zu bleiben. Ich habe relativ wenig rumgeheult oder mich beklagt, das ist wohl wahr, aber ist das ein Zeichen von Stärke?

Ich bin der Meinung, fast jeder würde mit so einer Situation umgehen, wie ich es tue. Nur ist es so, dass die meisten Menschen so etwas nie erleben und deswegen gar nicht nachvollziehen können, wie selbstverständlich es ist, wieder aufzustehen und weiterzumachen. Ja, natürlich hätte ich in eine tiefe Depression fallen, meine Übungen verweigern oder sonstwas können. Aber ich denke, nur die wenigsten von uns haben nicht den Drang, wieder ein normales Leben führen zu können.

Und es gibt sie, all die schwarzen Tage, Hoffnungslosigkeit, Angst, Tränen, Unverständnis… es gibt Tage, an denen stehe ich nicht auf, an denen bin ich von Selbst- oder Fremdhass zerfressen, aufkeimende Wut scheint mich ersticken zu lassen. Ich beschimpfe mich, verletze mich, auch körperlich, lasse meine Wut und Unzufriedenheit an anderen aus. Ja, all das passiert gerade in meinem Leben. Aber eben in dem Raum, der dafür vorgesehen ist. Und in einem Rahmen, der meiner Meinung nach tolierbar und angemessen für die Dauer der Traumabewältigung ist.

Und das mit dem positiven Denken – tut mir Leid, aber das hat für mich ganz klare Grenzen. Wie oben schon erwähnt, ist Optimismus sicherlich eine feine Sache, aber um es mal auf den Punkt zu bringen:  Ich bin gehbehindert. Durch positives Denken bin ich weder schmerzfrei noch kann ich plötzlich loshüpfen. So ist es nun mal. Vor allem wenn das Wörtchen „nur“ noch auftaucht, trifft das bei mir auf klares Unverständnis. Oder ich bin einfach viel zu pragmatisch und nicht esotherisch genug für diese Lebenseinstellung. Für mich persönlich fühlt sich dieses „positive Denken-Ding“ ein bisschen so an wie Scheuklappen vor den Augen. Mir geht es viel besser, wenn ich dem Teufel ins Auge sehe und die Dinge beim Namen nenne, um dann das Beste – mit positiver, motivierter Grundhaltung – daraus zu machen. Also: Es wird nicht wieder „alles gut“ – das steht fest. Ich bin sowohl körperlich als auch psychisch gezeichnet, bis ans Ende meines Lebens. Das weiß ich. Damit umzugehen, das ist die wahre Herausforderung. Und damit meine ich, Normalität herzustellen, so langweilig das auch klingt. Das ist mein großes Ziel, daran arbeite ich jeden Tag.

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