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Mein Alltag mit der PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung)

Ich habe schon lange nichts mehr geschrieben. Immer mal wieder kommen mir Gedanken, die ich auch aufschreibe, am nächsten oder übernächsten Tag aber dann wieder verwerfe. Es ist kompliziert. Ich habe viel zu berichten, vieles hat sich verändert, ich habe mich verändert, aber ich kann all die Gedanken irgendwie momentan nicht in die richtige Reihenfolge bringen. Aber jetzt versuche ich es endlich mal.

Drei Jahre und zwei Monate ist es nun her. In dieser Zeit gab es viele „Phasen“ – so habe ich sie zumindest bezeichnet und auch gesehen – gute und schlechte, immer mit dem Ziel – ja welchem Ziel denn eigentlich? Eines Tages wieder ganz gesund zu werden? Dass alles irgendwann besser wird? Wenn ich das nur wüsste. Trotzdem habe ich immer sehr positiv nach vorne geschaut, in der Gegenwart gelebt. Ich war das Mädchen, dass den Unfall und all die Folgen so toll meistert. So stark ist. So offen damit umgeht. Ich möchte auch jetzt wieder offen sein. Ich habe eine Posttraumatische Belastungsstörung. Das wisst ihr ja. Was es konkret heißt: Ich bin krank.

Ich habe mich am Anfang sehr intensiv mit der Thematik beschäftigt und viel darüber gelesen. Über all die akuten Symptome. Als ich noch schlimme Panikattacken hatte und nur mit Fahrradhelm im Auto sitzen konnte und nachts schweißgebadet aufgewacht bin und kaum eine Straße überqueren konnte. Ich habe die Krankheit verstanden – und als Phase angesehen. Schließlich hatte ich von Anfang an therapeutische Begleitung. Ich habe darüber geredet mit meiner Familie und meinen Freunden. Und ich war mir ganz sicher, dass ich alles richtig mache und die Krankheit tatsächlich nur ein vorübergehender Zustand ist. Und es wurde ja auch besser. Viel besser. Die Therapie hatte angeschlagen, ich hatte ein gutes Gefühl.

Ich habe mich NICHT mit der chronischen PTBS beschäftigt und auch nicht über Langzeitfolgen informiert. Das tue ich aber jetzt, seit ein paar Wochen. Denn es passiert etwas mit mir, was ich nicht verstehe. Oder nur langsam anfange zu verstehen. Ich setze mich jetzt damit auseinander, dass eine durchschnittliche Heilung (mit Therapie) etwa 36 Monate dauert. Ich bin jetzt in Monat 38 und seit mehreren Monaten geht es steil bergab – oder zumindest stagniert es mit Abwärtstendenz. Ihr würdet das nicht merken, wenn ihr mich trefft, denn ich führe mein Leben so normal es geht und kriege auch ganz viele Dinge hin. Und eben auch die meisten Dinge, die so wirklich schlimm waren am Anfang. Was aber in mir drin passiert, ist eine ganz andere Sache.

Im Sommer hatte ich meine allererste Depression. Auch da habe ich noch nicht den Zusammenhang gesehen. So plötzlich wie es kam, ging es nach ein paar Wochen auch wieder weg. Ich habe mir auch schlichtweg nicht erlaubt, mich intensiver damit auseinanderzusetzen. Ich war doch glücklich. Ich hatte glücklich zu sein.

Der Punkt ist: Ich bin auch wirklich glücklich. Eigentlich. Und trotzdem hat sich etwas verändert. Ich wache sehr sehr oft morgens traurig auf. So richtig traurig. Ich weine viel, scheinbar grundlos. Ich habe absolut keine Energie mehr, habe mich sogar schon komplett durchchecken lassen, weil ich mir sicher war, dass etwas nicht stimmt. Ich schlafe unendlich viel, ohne Mittagsschlaf komme ich fast nicht durch den Tag. Ich habe Kopfschmerzen und ständig eingeklemmte Nerven, weil mein Körper so angespannnt ist. Ich bin unglaublich launisch (ja, das war ich vorher auch schon, aber nicht in solch einem extremen Maße, ich kann förmlich von lachen auf bitterlich weinen oder von „Ich liebe das Leben so sehr“ zu „Was soll das alles noch“ in einer Sekunde umschwenken), ich bin grundgereizt, halte schlecht Kontakt mit Menschen, die mir eigentlich wichtig sind, weil ich am liebsten immer nur alleine sein möchte, freue mich selten über und auf Dinge, phasenweise fühle ich nichts. Ich habe mittlerweile eine zweite depressive Episode hinter mir. Ich futtere ohne Ende oder hungere. Wenn ich Alkohol trinke, dann eigentlich immer völlig maßlos und übertrieben. Ich habe Angst vor der Zukunft, fühle mich hilflos und weiß nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Ich erkenne mich ganz einfach oft nicht wieder. Und das macht mir Angst.

Über allem schwebt wie eine schwarze Wolke eine unbändige Todesangst. Ich wache morgens auf und checke zuerst, ob mein Freund und mein Hund noch atmen. Damit beginnt mein Tag. Alles was ich tue, entscheide ich danach, wie lebensbedrohlich es ist. Na klar, ich schaffe es auch weiterhin regelmäßig, über diesen großen Schatten zu springen, weil ich natürlich immer noch willensstark bin und mich nicht davon kontrollieren lassen möchte, es fällt mir aber zunehmend schwerer.

Ihr werdet es nicht glauben, ich habe mir all das wirklich monatelang angeschaut und war ratlos – und habe es NICHT mit der Posttraumatischen Belastungsstörung in Verbindung gebracht (ebenso wenig wie meine Therapeutin offensichtlich). Als meine Hausärztin mir aber neulich mal wieder gegenüber saß und noch einmal den Punkt „psychische Ursachen“ ansprach, da platzte plötzlich der Verdrängungsknoten in mir und ich habe die Möglichkeit in Betracht gezogen. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Wie ein kleines Kind, welches wütend aufstampft und brüllt „Ich bin nicht krank, es ist nur eine Phase.“ So, jetzt ist es raus. Ich bin krank.

Ich spreche immer noch nicht von einer Persönlichkeitsveränderung (die bei einer chronischen PTBS sehr wohl eintreten kann), da ich glaube, dass das alles noch zu behandeln ist. Mit der richtigen Therapie. Danach suche ich jetzt, denn irgendwie scheint der jetzige nicht der richtige Weg zu sein.

Und versteht mich nicht falsch – das alles findet nicht 24 Stunden am Tag statt. Ich nehme am Leben teil, mit gedämpfter Freude, mit gedämpftem Elan, ich gehe gerne arbeiten, treffe mich auch weiterhin mit Freunden und streunere mit meinem Hund durch die Natur. Ich gebe mich nicht auf und reiße mich oft zusammen. Weil ich WILL – das wollte ich schon immer – ich WILL leben, lieben und glücklich sein. Und diese hässliche Krankheit eines Tages besiegen.

Ich will! – Das Wort ist mächtig,
Spricht’s einer ernst und still;
Die Sterne reißt’s vom Himmel
Das eine Wort: Ich will!


Friedrich Halm
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1 Gedanke zu „Mein Alltag mit der PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung)“

  1. Hallo,
    ich verstehe dich sehr gut, indem, was du schreibst. Ich habe auch eine PTBS… Die Tricks der Verdrängung sind enorm und schwer zu entlarven, sagte mir mal ein Facharzt. [Ich spreche da aus lebhafter Erfahrung]. Ich habe keinen Rat :-(, aber wünsche dir jede Art von Besserung, egal wo und dass es sich nicht mehr chronifiziert.
    Viele herzliche Grüße (ganz aus der Nähe)
    S.D.Q
    PS: Statt Blog hab ich eine Website gemacht: http://www.traumaschmerz.de
    – zur Bewältigung – 🙁

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