Ich hab neulich mal durch meinen Facebook Feed gescrollt. Das ist ja wild. Mein letzter Post ist vom Januar 2022. Ich bin jedenfalls zurückgegangen bis 2017. Hat ganz schön lange gedauert, ich hab da echt viel gepostet.
Und ehrlich – damit hab ich nicht gerechnet – ich wurde richtig melancholisch, ja traurig sogar.
Ich habe eigentlich immer gedacht, es gäbe ein „Davor-Ich“ (vor dem Unfall) und ein „Danach-Ich“. Ich habe schon vor vielen Jahren aufrichtig getrauert, um das „Davor-Ich“. Um das unbeschwerte Leben, die Leichtigkeit. Das war auch okay und gut so und irgendwann hab ich es angenommen, mein „neues“ Ich.
Und dann sehe ich beim Scrollen durch die Fotos eine Frau, die ich fast nicht wiedererkenne. Eine „Danach-Ich“-Frau. Aber ganz anders als jetzt. So fröhlich und offen und gelöst.
Ich habe angefangen mich zu erinnern, ich habe mich reingefühlt in die Fotos, ich habe versucht, sie zu sein.
Ja, ich erinnere mich. An ganz viele Gefühle, ganz ganz viele positive Gefühle. Es ist irre, wie präsent die Emotionen sind, wenn ich mich daran erinnere. Und wie gut fühlt es sich an, noch einmal die Frau auf den Fotos zu sein.
Aber diese Emotionen sind nur eine Erinnerung, sie sind nicht mehr „echt“, hier und heute.
Das „Danach-Ich“ hat sich verändert. Ja, natürlich, denkt ihr. Menschen verändern sich, wachsen, entwickeln sich. Ist doch normal.
Ich bin ehrlich, ich habe das nicht so sehr realisiert. Oder viel mehr habe ich vergessen, dass es auch mal ein fröhliches, gelöstes „Danach-Ich“ gab.
Natürlich hab ich gemerkt, dass ich ein bisschen ernster geworden bin. Introvertierter. Weniger interessiert an sozialen Interaktionen. Strenger. Gelangweilter.
Das war für mich auch alles okay und folgerichtig. Ich hatte nur irgendwie gedacht, dass ich nur ein kleines bisschen grummeliger geworden bin. Oder es seit dem Unfall eh schon die ganze Zeit war.
Aber das stimmt überhaupt nicht. Und das macht mich traurig. Ich vermisse mich.
Diese Frau, die vor jeder der vielen Operationen lachend in den OP gerollt wurde, die losgelaufen ist, obwohl sie nie wieder hätte laufen sollen. Die Frau, die immer (wirklich immer immer) sofort wieder aufgestanden ist, wenn etwas schief gegangen ist und alle davon überzeugt hat, dass es schon gut wird. Ich vermisse diese fröhliche, mutige, starke, positive Frau so sehr.
Ich wünschte, ich hätte sie besser beschützen können. Ich hab’s so sehr versucht, aber irgendwann ging es nicht mehr. Jeder Mensch bricht irgendwann.
Ich bin nach sieben Jahren gebrochen.
Ich erinnere mich genau an den Tag.
Die Nachricht, die ich bekommen habe – es war eine Info von meinem Anwalt – war zwar eine echte Enttäuschung, aber nicht wirklich „schlimmer“ als viele andere Nachrichten der letzten Jahre.
Aber plötzlich hat es PENG gemacht. Im Kopf, im Bauch. Ich bin zusammengebrochen und konnte nicht mehr aufhören zu weinen. An dem Tag bin ich kaputt gegangen. Von da an war alles anders. Grau. Sinnlos. Traurig. Schwer. Ein dunkler Schleier legte sich über mich und ich konnte ihn nicht abschütteln. Die Frau von den Fotos war weg.
Ich habe über ein Jahr lang hinter diesem dunklen Schleier verbracht. Irgendwann hat er sich gelichtet, ich hab ihn gelichtet, weil ich ja trotzdem noch ich war und nicht aufgebe. Ich habe doll gekämpft, ich wollte da unbedingt wieder raus.
Aber seitdem bin ich nicht mehr „Ich“.
Ich bin „okay“, ich komme klar, ich lebe meinen Alltag und meistere alles wirklich gut, finde ich. Aber ich fühle fast nichts. Ich empfinde keine echte Freude mehr. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal gelacht habe. Vor Monaten?
Ich mag Menschen nicht mehr, habe keine Lust mich zu unterhalten, möchte keine neuen Kontakte knüpfen, bin am liebsten alleine. Es fällt mir so viel schwerer, mich zu öffnen. Gefühle zuzulassen. Ich bin ständig erschöpft.
Natürlich kann ich etwas tun, mach ich auch. Ich gehe immer noch (seit 9 Jahre fast durchgängig) zur Therapie. Aber wir haben so viele Themen zu bearbeiten, die größer und wichtiger sind als meine „Verstimmung, Veränderung“.
Ich habe im letzten Artikel „Der Rechtsstreit“ am Ende geschrieben, dass ich Angst habe. Vor dem Ende des Rechtsstreits. Wenn die großen finanziellen Sorgen weg sind und ich wieder „atmen“ kann. Der Stress, der Druck. Weg. Ja na klar, ich werde etwas Neues erschaffen. Ich werde frei(er) sein. Es wird ganz bestimmt gut. Ich habe gar keine Angst vor unserem Leben, welches wir wundervoll gestalten werden.
Ich hab Angst vor mir. Ich schiebe und projeziere so viel auf das Ende des Rechtsstreits. „Wenn endlich, dann…“ Dann was? … bin ich plötzlich wieder fröhlich? Extrovertiert? Neugierig? Die Frau von den Fotos? Das glaube ich nicht.
Dabei vermisse ich sie so sehr. Mich.