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Der vorerst letzte Streich oder: Immer diese Scheißangst

Da sitze ich also mal wieder im Wartezimmer der unfallchirurgischen Sprechstunde in der Schön Klinik in Eilbek. Zum dritten Mal in zwei Wochen. Aber heute wird es ernst, denn übermorgen werde ich ein weiteres Mal operiert. Zum vorerst letzten Mal.

OP Nummer neun steht also an. Sie ist die ‚einfachste‘ von allen, ein Großteil des Fremdmaterials wird rausgenommen. Konkret: Platte und Schrauben im Schlüsselbein, Schrauben im Sacrum beidseitig, Verriegelungsschrauben im Knie, Draht im Unterschenkel. Es bleibt: Nagel im Oberschenkel, zwei Schrauben im Innenknöchel. Ich bin dann also fast metallfrei.

„Ist doch ein alter Hut“, könnte man denken. Pustekuchen. Seit September schiebe ich die Sache nun schon vor mir her. Besonders die Schrauben im Sacrum verursachen starke Schmerzen, beim Treppensteigen, beim Sitzen, Stehen, Hocken, eigentlich immer. Mehr als zehn Minuten und schon brennt mein unterer Rücken. Es muss also sein.

Statt gelassen zu sein und mich zu freuen, dass dann erstmal alles erledigt ist, dreht sich in meinem Kopf mal wieder alles nur ums Sterben. Je näher der Termin rückt, desto unruhiger und labiler werde ich. Ich habe eine Scheißangst, dass ich den Eingriff nicht überleben werde. Unrealistisch, unrational, unsinnig. Ist doch eigentlich so, oder? Wenn es nur so einfach wäre…

Ich bin frustriert und vor allem verärgert – bin ich doch momentan eigentlich recht stabil. Und trotzdem wirft mich dieser kleine Eingriff völlig aus der Bahn. Ich spüre wieder meine eigene Verletzlichkeit und merke, dass „mir geht es gut“ nie wieder dieselbe Bedeutung haben wird wie vor der PTBS. Denn sie ist unberechenbar und schlägt plötzlich zu, bringt mich an meine psychischen Grenzen und belastet mich sehr. Weder Wegatmen noch Entspannungstechniken helfen mir grad weiter. Zum Glück habe ich einen tollen Arzt/Operateur, der mich seit zwei Jahren begleitet und mich wirklich ernst nimmt, jedes meiner bescheuerten Szenarien im Kopf mit mir durchspielt – und versucht zu entkräften. Er wollte sogar gegen mich wetten (einen Teufel werde ich auf meinen eigenen Tod setzen!).

Zum Glück habe ich, egal wie schlecht es mir ging, noch nie etwas nicht gemacht, weil die Angst es mir ins Ohr geflüstert hat. Ich weiß, dass es sein muss und ich weiß, dass ich es irgendwie schaffen werde. Ich habe schon so unglaublich viel hinter mir, es wäre nicht richtig, jetzt aufzugeben. Also werde ich mich auch dieses Mal wieder durchbeißen, meine Angst besiegen und dann, sollte ich tatsächlich überleben, wieder ein Stückchen weiter und ein bisschen stärker sein. Und irgendwann vielleicht auch akzeptieren und lernen, dass ich eben jetzt anders bin. Und das ist schon gut so.

„You may have to fight a battle more than once to win it.“ – Margaret Thatcher

2 Gedanken zu „Der vorerst letzte Streich oder: Immer diese Scheißangst“

  1. Liebe Jule, ich durfte dich gestern in der Klinik kennenlernen und bin echt berührt von deiner Geschichte. Ich hab dich gegooglet und all das über dich gefunden. . Und ich wusste, irgendwo habe ich dich schon mal gesehen (“ wer wird Millionär “ sag ich nur). Du trägst so eine humorvolle Leichtigkeit in dir, trotz deiner Trüben Gedanken die dir dein Schicksal eingebracht hat. Ich freu mich das ich Zeugin deines Kampfes sein darf und das du diesen letzten schwierigen Schritt mit beiden Beinen getan hast. Ich wünsche dir alles Liebe für deinen weiteren Weg . Hoffentlich hast du heute Nacht eine nette Mitbewohnerin die nicht so schlimm schnarcht wie ich. Liebste Grüße – Lena

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