Mein Vater – seines Zeichens Schauspieler und Regisseur – hatte mal einen „Menschen für Alles“, ich glaube sein Name ist Marko. Der hat ihm bei Veranstaltungen den Ton gefahren, alles Mögliche für ihn organisiert und war einfach immer da.
Marko hatte mal einen sehr schlimmen Motorradunfall – auch unverschuldet, wenn ich es richtig erinnere.
Und mit Marko habe ich mich etwa zwei Monate nach meinem Unfall unterhalten. Er hat mir erzählt, dass ich aufpassen müsse, so ein Rechtsstreit würde manchmal jahrelang dauern. Er selber führte zu diesem Zeitpunkt seit 11 Jahren seinen Rechtsstreit.
Ich hab gelacht, ja ehrlich. Ich habe ihn nicht ausgelacht, sondern eher in mich reingelacht. Kennt ihr das? Man lacht so leise in sich rein und denkt „Ja OK verstehe, aber das würde mir ganz bestimmt nicht passieren.“?
Und jetzt führe ich seit mehr als neun Jahren einen Rechtsstreit und denke oft an Marko und seine Worte. Verdammt. Wie konnte das passieren?
Das erzähle ich euch jetzt.
Am Anfang wusste ich überhaupt nicht, wo oben und unten ist. Und wie das alles geht. Ich erinnere mich überhaupt nicht mehr, woher mein erster Anwalt kam. Über Kontakte, eine Empfehlung…? Irgendwann (noch in der Klinik ganz kurz nach dem Unfall) habe ich ein Mandat unterschrieben und dachte, das läuft dann schon irgendwie. Dieser erste Anwalt war schon sehr betagt und sämtliche Kommunikation lief per Brief. Und sehr sehr langsam und old school. War mir erst egal, ich hatte andere Probleme. Ich habe dann doch aber relativ schnell gemerkt, dass das so irgendwie nicht funktioniert. Er war ganz bestimmt ein ordentlicher Anwalt, aber der Größenordnung meines Falles war er sicher nicht gewachsen.
Als ich mich einigermaßen sortiert hatte, habe ich angefangen, selber nach einer Kanzlei zu suchen. Und habe dann zu einer der größten und renommiertesten Verkehrsrechtskanzleien in Hamburg gewechselt.
Eigentlich war das gut, ich hatte eine tolle Sachbearbeiterin, es ist richtig Schwung reingekommen. Und dann auch wieder nicht. Sie ging in Mutterschutz, dann kam die nächste Sachbearbeiterin, die ich auch gut fand, die aber nicht mehr ganz so motiviert war. Sie musste sich erstmal einarbeiten (~6 Monate). Und ging dann auch in Mutterschutz… Dann kam der nächste Sachbearbeiter, der sich erstmal einarbeiten musste. Und schon war 2019. Drei Jahre waren vergangen, ohne dass etwas Relevantes passiert war.
Ich mochte den Anwalt sehr sehr gerne. Er war super nett und empathisch und ich habe mich sehr wohl mit ihm gefühlt. Aber er war ein Schlusel. Die gegnerische Versicherung hat sich einfach zurückgelehnt und Däumchen gedreht. Gewartet, dass der Anwalt aktiv wird. Wurde er aber nicht. Es gab immer mal einen kurzen Schriftwechsel, aber keine Bewegung. Ich habe dann irgendwann eine Beschwerde innerhalb der Kanzlei platziert und es gab eine Mediation. Das Ergebnis war ein Versprechen und ein Plan. Aber leider nur theoretisch. Umgesetzt wurde davon nichts.
Und ups, plötzlich war es Anfang 2021. Fünf Jahre nach dem Unfall. Ich habe dann beschlossen, die Kanzlei zu verlassen und über eine private Empfehlung einen neuen Anwalt gefunden.
Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Damit hat das echte Grauen begonnen. Ich habe gedacht, die persönliche Verbindung schafft Verbindlichkeit. Noch dazu haben wir bei unserem ersten Treffen rausgefunden, dass sein Vater und mein Vater gut befreundet waren.
Er war mir nie sympathisch, sehr derb, grob und laut. „Der isn Tier, den willste nicht zum Feind.“, war mein erster Gedanke. Aber er war ja auf meiner Seite, also dachte ich, der macht die Versicherung in kürzester Zeit „platt“ und die Sache ist geritzt.
Sechs Monate hab ich ihm gegeben, um sich einzuarbeiten, der Fall ist ja auch kompliziert und die Akte dick. Und dann passierte – nichts. Gar nichts. Er wollte immer wieder irgendwelche Unterlagen von mir haben. Hat er bekommen. Oft mehrfach. Er hat Termine kurzfristig abgesagt, wegen dringender Notfälle. Immer wieder, monatelang. Irgendwann saß ich dann in seiner Kanzlei, nach ungefähr einem Jahr. Sachlich hat er nichts geliefert. Aber er wurde laut, er hat mich klein gemacht, gegen mich geschossen. Irgendwann bin ich in Tränen ausgebrochen. „Na also, so gefällst du mir viel besser, als wenn du immer so kämpferisch bist“, hat er gesagt. Mein Anwalt.
Er hat mich mal an einem Sonntag angerufen. Ich hab den Anruf nicht gehört und ihn fünf Minuten später zurückgerufen. Er hat mich dann angeschrien, was mir einfallen würde, ihn an einem Sonntag anzurufen.
Er hat mich oft angeschrien. Er hat verletzende Dinge gesagt. Er hat mir das Gefühl gegeben, ich sei Schuld. An allem.
Warum bin ich nicht sofort wieder gegangen? Ich war labil. traumatisiert, verletzlich und verletzt. Und ich habe auch einen riesigen Haufen Schulden im Gepäck. Ein Anwaltswechsel ist teuer und man muss das selber bezahlen. Und ich hab mir immer wieder eingeredet, dass ich das aushalten kann, wenn er nur auch so verbissen meinen Fall bearbeitet. Aber das hat er einfach nicht. Wirklich gar nicht.
Und plötzlich war es schon 2024. Retrospektiv betrachtet ist es unglaublich, dass ich drei Jahre bei ihm war, das alles mitgemacht habe. Seinen Psychoterror. Und es war nicht weniger als das.
Irgendwann war es aber einfach zu viel, alles. Ich hatte einen Zusammenbruch und bin in eine heftige depressive Episode gerutscht. Und dann haben wir (*wir sind mein Freund und ich) beschlossen, dass ich von ihm weg muss. Egal, was es kostet.
Ich habe dann alle (!) Jurist*innen an der Uni Hamburg angeschrieben und meinen Fall geschildert und um Hilfe, Rat und Empfehlungen gebeten (es hat übrigens niemand geantwortet).
Ich habe angefangen, intensiv nach Anwält*innen mit Schwerpunkt Verkehrsrecht zu suchen. Und nur Absagen kassiert. Entweder hatten sie keine Kapazitäten, primär war aber niemand bereit, einen acht Jahre alten Fall zu übernehmen.
Und dann bekam ich eine Antwort von einer Anwältin. Sie selber könne den Fall nicht übernehmen, aber es gäbe eine Anwältin in Hamburg, die sich ausschließlich auf Verkehrsunfälle mit schweren Personenschäden (und die richtig kniffligen Fälle) spezialisiert habe. Anbei Name und E-Mail-Adresse.
Also hab ich meine vorformulierte E-Mail ein weiteres Mal abgeschickt. Vier Stunden später (um 23 Uhr) hatte ich eine Antwort. Eine lange E-Mail, die damit begann, dass sie schrieb, sie hätte meinen Unfall gegoogelt (findet man tatsächlich) und sich die groben Details angeschaut. Und dass es ihr wahnsinnig leid täte, was mir passiert sei.
Und dass sie den Fall übernehmen würde.
Sie hat auch direkt geschrieben, dass sie eine (nicht geringe) Einarbeitungspauschale nehmen würde, da der Fall so alt und umfangreich sei. Wir haben natürlich erstmal geschluckt, weil wir uns das absolut nicht leisten konnten. Ich fand es aber auch toll, dass sie so direkt und transparent kommuniziert hat.
Was ich auch toll finde? Freunde. Meine mehr als tolle Freundin. Die eingesprungen ist, finanziell, und uns diese Anwältin ermöglicht hat (Danke so sehr 🫶🏻).
Und da ist sie nun, die Anwältin, die ich mir immer gewünscht habe. Sie ist direkt, bestimmt, selbstbewusst, und ich denke auch knallhart. An der richtigen Stelle. Sie hat unglaublich viel Erfahrung und weiß genau, was sie tut und tun muss. Sie ist aber auch empathisch, verbindlich und persönlich. Und wir kommunizieren auf Augenhöhe.
Ihr Fachgebiet ist schwere Verkehrsunfälle, komplizierte Fälle, hohe Summen. Das kann und liebt sie. Ich glaube sogar, sie lebt dafür.
Sie ist jetzt seit einem Jahr an meiner Seite und wir haben mehr geschafft, als alle Anwält*innen zusammen in acht Jahren. Wir haben zwei neue medizinische Gutachten, die (für den Rechtsstreit, nicht für mich persönlich) hervorragend ausgefallen sind. Sie telefoniert regelmäßig mit dem Anwalt der generischen Seite. Die verstehen sich tatsächlich richtig gut, was ganz bestimmt von Vorteil ist.
Die nächste Verjährungsfrist läuft Ende des Jahres aus und sie hat ganz klar gesagt, dass sie die nicht verlängern wird – weil bis dahin alles abgeschlossen sein wird.
Diesen Monat (8/25) bekomme ich eine Aufstellung mit „echten“ Zahlen dahinter. Also das erste Mal auch eine fundierte Prognose. Wir gehen das dann gemeinsam durch und wenn alles schlüssig ist, geht sie in die Regulierungsverhandlung mit der Versicherung. Sie hat gesagt, der gegnerische Anwalt hätte ihr schon signalisiert, dass die das auch zügig über die Bühne bringen wollen.
Und wenn es wirklich alles so läuft, wie wir uns das wünschen, ist der Rechtsstreit in 3-4 Monaten beendet.
Und dann? Darüber schreibe ich nochmal etwas. Sowohl über die großen Pläne, die wir haben.
Aber auch über die absurde Angst, die ich habe. Seit neun Jahren gibt es ein großes Thema in meinem Leben, um das sich eigentlich alles dreht. Neun Jahre Abhängigkeit, neun Jahre Sorgen, neun Jahre pleite, neun verdammte Jahre Rechtsstreit.
Für mich ist es ein Teil meiner Identität geworden. Wer bin ich eigentlich ohne das? Das muss ich erstmal rausfinden. Und davor habe ich großen Respekt.
Oh mein Gott, Jule, das tut mir unendlich leid!!! Wir haben uns vor langer Zeit einmal getroffen, ich hätte dir so sehr gewünscht, dass du so viel schneller Gerechtigkeit erfahren hättest!!! Umso mehr hoffe ich, dass du tatsächlich mit Hilfe deiner neuen Unterstützung endlich zu deinem Recht kommst! Wobei kein Geld der Welt dich wirklich für all die zerplatzten Träume, die Schmerzen, die unendlichen Kämpfe entschädigen kann!!!
Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du bald wieder etwas zuversichtlicher in die Zukunft schauen kannst!!!
Liebe Grüße und meine Hochachtung, dass du nicht aufgegeben hast!!!
Kiki
Danke, sehr!!
Du wirst es herausfinden, du bist nämlich du! Du bist eine Kämpferin und liebst das Leben, ganz tief in dir drin. Deine Mama