Heute ist ein guter Tag. Zumindest war er das, bis ich um 15.30 Uhr auf dem Hamburger Rathausmarkt stand und keine Luft mehr gekriegt habe. Der Tag fängt super an. Ich bin ausgeschlafen, werde sogar vor dem Wecker wach (das liebe ich!), die Sonne blitzelt schon munter durch die Wolken und es ist Freitag. Ja, auch in einem Alltag ohne wirklichen Wochenrythmus ist der Freitag irgendwie ein toller Tag.
Heute gehe ich um 10 Uhr ins Büro, dort helfe ich manchmal aus und erledige allerlei Assistenztätigkeiten. Zwei Bewerber stelllen sich heute vor, das macht mir tatsächlich besonders viel Spaß. Ich nehme mein Sportzeug mit, denn ich fühle mich wieder recht fit. Eigentlich kämpfe ich grad mit einem Rheuma-Schub und habe einen wahnsinnig entzündeten Ellenbogen, dieser hat sich aber in den letzten Tagen durch eine ordentliche Kortison-Dosis wieder etwas beruhigt.
Die Simmung im Büro ist – wie eigentlich immer – gut und gegen 15 Uhr habe ich alles erledigt. Ich freue mich auf den Feierabend, das Sportprogramm und das später folgende Feierabend-Bier (oder fünf).
Der Busfahrer ist leider ein Vollidiot und fährt wie ein Wilder, mit Vollbremsung und Hupen und ich weiß nicht was. Ich merke, wie meine innere Anspannung langsam steigt, kann mich aber noch gut ablenken. Am Rathausmarkt muss ich umsteigen. 13 Minuten warten. Spitze. Ich beobachte die Menschen, wie sie geschäftig ihren Missionen nachgehen. Ich überlege, was ich denn beim Sport so mache, leichtes Training soll es sein, gelenkschonend. Ach und nicht zu anstrengend, das mit meinen Herz-Hüpferchen (ich werde noch gesondert darüber schreiben) ist ja noch nicht medizinisch abgeklärt.
Und plötzlich ist sie da. Angst. Sie schlägt mir wie ein Hammer auf den Kopf, boxt in meine Magengrube, schnürt mir die Kehle zu. Ich habe Angst zu sterben. Einfach tot umzufallen. Beim Sport. Auf dem Fahrrad. Und jetzt auch direkt hier, zwischen all den Menschen. Kann jemand Herz-Massage oder laufen sie dann alle an mir vorbei? Ich werde sterben. Genau jetzt.
Ich kann mich nicht mehr bewegen, sehe die Menschen nur schemenenhaft an mir vorbeiziehen und habe das Gefühl, in einer Parallelwelt steckenzubleiben. Tränen schießen mir in die Augen. Ich fühle mich total hilflos. ICH MUSS DA RAUS! Ablenken – das hilft, das weiß ich, das lerne ich in der Therapie. TU ETWAS. Ich wähle Max Nummer. Er geht ran.
„Ich schaff das nicht. Ich werde beim Sport tot umfallen.“ Er beruhigt mich, das werde nicht passieren. Und eigentlich wüsste ich das doch auch. Weiß ich das? Ich hab da so eine Ahnung, die kommt jetzt langsam wieder hervor, als sich die Schockstarre beginnt zu lösen.“Hör zu, komm jetzt nach Hause, ich hole dich auch ab, dann wartest du den Kardiologen-Termin ab und dann gehst du wieder zum Sport“, beruhigt mich Max. Das ist pragmatisch, klingt nach einem echten Plan. Das macht Sinn für mich. Ich bin fast wieder da. Abholen? So’n Quatsch, ich fahre natürlich Bus. Wäre doch gelacht.
Ich fahre nach Hause. Die Angst ist zwar noch da, aber ich habe sie jetzt unter Kontrolle. Ich fühle mich wie ein Versager. Schon wieder hat sie es geschafft, mir meine Entscheidungsfreiheit zu rauben. Und schon wieder habe ich nachgegeben. Dieser ewige Kampf, das plötzliche Entsetzen und die darauffolgende Unzufriedenheit. Meine ständige Begleiterin „Angst“ – vielleicht schaffe ich es ja eines Tages, Hand in Hand mit ihr zu laufen, obwohl ich mir das heute überhaupt nicht vorstellen kann.